Ein Brief ans Internet

Liebes Internet,


nun sind wir schon seit so langer Zeit verbunden und kein einziges Mal haben wir uns so richtig ausgetauscht. Ist Dir das aufgefallen?


Täglich sehen wir uns für Minuten, manchmal werden es Stunden. Du bringst so viel auf meinen Monitor, dass ich irgendwann nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Geht es Dir auch so? Ich meine, da sind so viele von uns und wir alle geben Dir unsere Gedanken, Ideen, Bilder und Texte. Mit stoischer Geduld und ohne Wertung nimmst Du all diese Sachen auf und bringst sie zu demjenigen, der sie gerade braucht oder sehen will. Kein einziges Mal beschwerst Du Dich. Du bist unser Tor zu dieser riesigen digitalen Welt. Mittlerweile gehörst Du zu unserem Leben, wie die Zahnpasta oder die tägliche Gang zur Arbeit. Du bist so selbstverständlich da, dass wir erst bemerken, was uns fehlt, wenn wir dich nicht nutzen können und wir benutzen Dich schamlos. Macht Dir das nichts aus?
Allerdings hast Du kein Gewissen, Moral und Ethik sind nur Begriffe, die Du transportierst und dabei mit den Achseln zuckst. Denn das, was Du uns als Freiheit schenkst, ist zugleich der Weg ins Verderben. Für Dich sind wir alle kleine Auftraggeber, Du unterscheidest uns nicht, hast kein Interesse an unseren Motiven oder Überzeugungen, an uns schon gar nicht. Wir sind Dir völlig egal. Bei diesem Gedanken habe ich das Gefühl, ich bin einer von vielen, für Dich völlig belanglos, für die anderen wohl auch. Du stiehlst meine Zeit.


Geht es Dir auch so mit mir? Oder sind da genügend andere von uns, die Dich beschäftigen? Sind sie interessanter oder gar wichtiger als ich? Haben sie Dir schon eher geschrieben?
Internet, ich sage Dir was: ich mag dich. Doch, ehrlich. Du bist so wunderbar unkompliziert. Wenn ich keinen Bock mehr auf Dich habe, dann verlasse ich Dich und Du merkst es noch nicht einmal. Das ist sehr angenehm, ich brauche keine Erklärungen. Schon gar nicht wenn ich zurückkomme. Geht Dir aber genauso, ich weiß. In dieser Hinsicht passen wir herrlich zusammen.
Eine Frage brennt mir allerdings schon lange auf der Seele: Was wärst Du nur ohne mich? Ohne all die anderen, liebes Internet?

Deine Jo

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