Kim und Struppi

Christian Eisert

Wie viele Touristen jährlich Nordkorea besuchen, lässt sich exakt sagen: wenige. Dabei hält so ein Urlaub im Reich von Kim Jong-un viele Überraschungen bereit: Autobahnen ohne Autos, Hotels, in denen der fünfte Stock fehlt, und ein Tänzchen an der gefährlichsten Grenze der Welt – zu den Klänge von „Tränen lügen nicht“.

Kim und Struppi Christian EisertSeit der Schulzeit lässt Christian eine Sache nicht los: wie mag die Regenbogenrutsche in Korea wirklich aussehen und haben die Kinder dort wirklich so viel Spaß wie auf dem Bild, das er in seiner Jugend gesehen hat? Zumindest reicht der Wunsch aus, um seine beste Freundin und Fotografin Thanh dazu zu überreden, mit ihm in dieses wohl am besten abgeschottete Land zu reisen. Bereits am Flughafen muss Thanh ihr Smartphone in eine festverschlossene Tüte packen lassen, die sie erst wieder in China öffnen darf und die beiden bekommen ihre persönlichen Reiseführer an die Seite gestellt: Herrn Chung und Herrn Rym, zwei junge Männer, die ihnen die kommenden Tage nicht von der Seite weichen und absurderweise einander nicht kennen. So beginnt in einem Kleinbus ohne Scheibenwischer die gut durchgeplante Reise, während der sie kaum Gelegenheit finden werden, das Land selbst zu erkunden. Auf dem Programm stehen die größten Sehenswürdigkeiten des Landes: ein Triumphbogen, ein in den Berg gebautes Museum mit den Staatsgeschenken der geliebten Führer, eine Blumenausstellung, ein Kaufhaus, die Metro, ein Tempel und sogar ein Zirkus. Doch sind es nicht diese Programmpunkte, die beide teils faszinieren und nervlich fordern, sondern die Tatsache, nie allein und unbeobachtet zu sein. Während Christian sich mit der Situation abfindet, fällt es Thanh immer schwerer die Ruhe zu wahren. Das dieses Land sie beide und andere Touristen, denen sie immer wieder begegnen, mental am meisten fordert, merken sie erst, als sie wieder in China sind. Welche Freiheit!

 

Man kommt in Versuchung die Reisebegleiter der beiden Protagonisten als naiv bezeichnen zu wollen, vor allem wenn Christian und seine Freundin anfangen, Witze über das Land oder dessen Eigenarten zu reißen. Doch Ironie und mancher Witz werden von den Männern nicht verstanden. Wie denn auch? Sie kennen nur dieses eine Land mit all seinen Widersprüchen wie die Bedienung in einem Café, die perfekt Englisch spricht, ohne jemals im Ausland gewesen zu sein. Oder die Verkäuferinnen in den Kaufhäusern, die keine angerissenen Euroscheine annehmen, sondern nur makellose. Es wirkt nahezu als schlechter Gag, wenn Eisert berichtet, dass im Hotel beim Frühstück ein Teebeutel für mehrere Personen verwendet wird. Trotzdem scheinen die Nordkoreaner ein stolzes Volk zu sein und man fragt sich als Außenstehender wie das alles zusammengehen kann, aber es geht. Denn trotz der Diktatur und Überwachung erleben Christian und seine Begleiterin auch unglaublich persönliche Momente mit ihren Guides Herrn Chung und Rym und bekommen so einen kleinen Einblick in das wohl abgekapselteste Land unserer heutigen Welt.

In der Mitte finden sich einige Bilder der Reise, die der Autor in Systemdateien seines Laptops versteckt hatte, damit sie nicht von Beamten gefunden und gelöscht werden konnten. Eine clevere Idee und einige wenige Bilder, die ein Land zeigen, das wir überhaupt nicht kennen.

 

Eigene Meinung

Ein Reisebericht, der an vielen Stellen unglaublich nachdenklich stimmt. Obwohl Eisert leicht und sehr oft als Beobachter schreibt, bleibt das klamme Gefühl der Unterdrückung, selbst in Alltagssituationen, nicht aus. Das beängstigt auf der einen und belustigt auf der anderen Seite. Für uns ist es schwer vorstellbar, dass man nur sein eigenes Land kennt, in dem man geboren wurde. Alles, was man von dem Rest der Welt erfährt, ist gefiltert und entsprechend dargestellt, so dass es ins Bild des Regimes passt. Ist es zudem nicht seltsam, dass selbst der Rest der Welt nicht genau weiß, wann Kim Jong-un geboren wurde? So geht die Globalisierung an Nordkorea bisher spurlos vorbei. Über dieses Buch sollte sich jeder sein eigenes Bild machen. Auf jeden Fall lesenswert!

„Und was habt ihr da gemacht? Panzer aus Reis gebaut?“

„In Suaheli heißen Politiker wabenzi – Männer im Mercedes-Benz.“

“Entsprechend lautete ihre Anweisung: ‚Adress!‘ Ich gehorchte, tippte und griff nach der Maus, um auf Send zu gehen. Das trug mir eine Ermahnung ein. Die Beamtin nahm selbst die Maus und verschickte, mit dem Hotel als Absender, meine E-Mail—

“‘Was sind das für Busse dort mit den Lautsprechern auf dem Dach?‘ – ‚Sie spielen Musik, damit unsere Bauern mehr Freude bei der Arbeit bekommen.‘—

“Solche Lautsprecher hängen in fast alle nordkoreanischen Wohnungen und können von den Bewohnern weder an- noch ausgeschaltet werden. Die Radios sind auf den Staatssender geeicht. Eichbeamte überprüfen regelmäßig, ob manipuliert wurde. Auf das Hören südkoreanischer Sender steht die Todesstrafe—

„Bei den Gräbern des Königs Kong Min bekamen wir zum ersten Mal eine Ahnung vom echten Korea. Den Ahnen verpflichtet, vom Schicksal gebeutelt, duldsam geworden, hat gegen sich und andere und voll stiller Schönheit.“

„Fotografen den korrekten Aufnahmewinkel vorzugeben, hat eine lange Tradition in Nordkorea.“

Weitere Informationen über den Autor findet Ihr unter http://www.christian-eisert.de

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