Der bittere Nachgeschmack beim Lesen – Vorwürfe gegen Lindemann

Seit einigen Wochen kommt Till Lindemann nicht aus den Schlagzeilen. Immer mehr Details gelangen über die „row zero“ und andere Machenschaften in die Öffentlichkeit. Es geht um Machtmissbrauch, Drogen und Vorwürfe zu nicht immer ganz freiwilligen Taten zwischen dem Frontmann der Band Rammstein und jungen Frauen.
Nachdem ich einige der Artikel zu Lindemann und den Vorwürfen gelesen habe, stelle ich mir die Frage: Was mache ich mit den Werken des Künstlers, wenn sich die Anschuldigungen bewahrheiten? Wie gehe ich mit Büchern und dem Autor um?

Die einfachste Antwort wäre, sie wegzuschmeißen. Oder?

Allerdings gilt immer noch, dass ein Beschuldigter so lange als unschuldig gilt, bis die Schuld bewiesen ist. Doch das Ansehen, das Image des Bandmitglieds und der Band sind beschädigt. Und so stehe ich vor meinem Bücherregal, starre auf die Buchrücken und überlege, wo das lyrische Ich endet und der Autor beginnt. Einige Gedichte Lindemanns handeln ganz klar von Dingen, die zwischen Männern und Frauen passieren. Sie sind zum Teil sehr eindeutig, dann wieder verklausuliert und dennoch als das zu erkennen, was gemeint ist. Sie beschreiben Szenen, die genau als Vorwürfe gegen den Sänger formuliert werden.

Inspiration. Inspiration ist der Begriff, der mich bei all diesen Nachrichten um Lindemann und die jungen Frauen nicht in Ruhe lässt. Woher hat er seine Inspiration genommen? Was hat ihn bewegt, das eine oder andere Gedicht zu schreiben? Nur Gedanken oder waren da Taten? Oder Gedanken, denen Taten folgten, nur um zu sehen, ob es so ist, wie man es sich vorstellt? Oder hat das Denken nicht gereicht, wollte zur Tat werden, wurde es letztendlich? Und dann zum durchorganisierten Bestandteil des Tourlebens? Was also war zuerst? Das Gedicht oder die Tat? Ist das im Grunde wichtig?



Wenn Grenzen verschwimmen und Welten ineinandergreifen, werden Kunst und Künstler eins. Die Frage ist nur, ob dem Wort die Tat jemals folgt? Schlimm ist es, wenn der Tat – und sei sie nicht rechtens gewesen – das Wort folgte. Wie gehe ich dann mit diesen Büchern und ihren Inhalten um? Kann und darf ich sie weiterhin unvoreingenommen als Kunst betrachten? Als eine abgeschlossene Welt des Gedankenspiel in Buchform? Sind die Taten zwischen den Seiten ein anderer, von der realen Welt und erschaffenden Person losgelöster Raum, in dem die Gesetze anders funktionieren? Nicht gelten?

Heute argumentieren wir damit, dass der Gebrauch der Sprache das Denken verändert. Inhalte haben und hatten schon immer in dieser Hinsicht ein ganz anders Potential. Sie wirken, arbeiten an und in uns, schaffen Denkanstöße, verändern unsere Standpunkte, sie manipulieren uns sogar.
Weiß ich zudem um das Leben und Schaffen des Verfassers, erlaubt mir das, die Inhalte ebenfalls anders zu bewerten und zu hinterfragen.

Will ich also von einem Künstler Texte lesen, dessen Ansichten, Moral und Werte nicht mehr in mein eigenes Weltbild passen, nicht mehr übereinstimmen oder dem gar widersprechen? Dann geht es doch um den Verfasser, nicht die Werke. Will ich mich mit der Arbeit einer Person auseinandersetzen, die Dinge getan hat, die gegen Menschenrechte und Gesetze verstoßen, andere verletzen, demütigen und in ihrer Würde angreifen? Und wenn ja, aus welchem Grund? Der Unterhaltung, Neugier wegen?

Für mich wollen die Gedichte, selbst einige Songtexte, nicht mehr so schön und unterhaltsam klingen wie zuvor. Ich höre mit einem anderen Ohr zu. Es ist das feministische, das den Texten das Einvernehmliche nicht mehr abkauft, sondern das Dominierende, das Herrschende zuspricht. Im Hinterkopf bleiben die Vorwürfe und die Berichte aus den Medien. Wo fängt der Funken Wahrheit an, wo beginnt der Klatsch und die Sensation? Wieder Grenzen, die verschwimmen.

Was, wenn im Songtext „Engel“ mehr Wahrheit liegt, als einigen von uns lieb ist?

Wer mich und diesen Blog kennt, weiß, dass ich ein Rammstein-Fan bin und zudem ein großer Fan von Lindemanns Lyrik. Doch für die Rechte der Frauen und die Gleichberechtigung stehe ich seit Jahren ein, greife stetig Themen zur Rollenverteilung, Diskriminierung und Triggern auf.

Im Moment kann ich, will aber nicht mehr ein Fan sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert