Nachtzug nach Lissabon

Nachtzug nach Lissabon
Pascal Mercier

Mitten im Unterricht verläßt der Lehrer Raimund Gregorius seine Klasse und macht sich auf den Weg nach Lissabon, um der Spur eines geheimnisvollen portugiesischen Autors zu folgen. Auf seiner wundervollen Reise dringt er immer tiefer in dessen sagenumwobene Geschichte ein – doch was Gregorius erkennt, könnte ihn schließlich das Leben kosten…

Einem Impuls folgen und aus dem Alltag ausbrechen. Genau das macht Gregorius, der sprachbegabte Lehrer aus Bern, als er eines Tages auf dem Weg zum Gymnasium einer verstörten Portugiesin begegnet und sie aus unerfindlichen Gründen mit in den Unterricht nimmt. Ein altes Buch des Autors Prado verführt ihn zu einer Reise ins Ungewisse und er steigt kurzerhand in einen Zug nach Lissabon. Dort angekommen, macht er sich auf die Suche nach den Spuren des verstorbenen Schriftstellers, lernt Portugiesisch und findet nicht nur Personen, die den Schriftsteller kannten, sondern auch ein anderes Ich.

Mercier erzählt die Geschichte mehrere Personen und schon nach einiger Zeit kann man sich fragen, wer tatsächlich der Protagonist der Erzählung ist. Geht es um „Mundus“, den Schweizer, der nach Jahren aus seinem geordneten Leben ausbricht oder doch vielmehr um den portugiesischen Autor Prado, der tiefgründige Texte hinterlassen hat? Die Texte des portugiesischen Buches wechseln sich mit der eigentlichen Handlung ab, die im Verlauf immer neue Charaktere auftauchen und verschwinden lässt. Trotzdem gelingt Mercier der Brückenschlag, sodass man als Leser nicht den Überblick verliert. Gleichzeitig schafft der Autor Parallelen zwischen dem Leben des Suchenden und des Gesuchten. Manchmal kommt einem das Erzählte etwas wie ein Märchen für Erwachsene vor und Szenen wiederholen sich, werden vorhersehbar. Nicht immer liest sich die Geschichte flüssig, man fragt sich, warum es überhaupt diese Szenen gibt. Die Wiederholungen zu Personen sind zuweilen langweilig und die Wendung „das würde er nie vergessen“ kommt auffällig oft vor.

Nichtsdestotrotz greift Mercier, Professor der Philosophie, viele Themen auf, die uns bewegen und fasst sie in hochinteressante Gedanken. Liebe, Wahrheit, Freundschaft, Loyalität und nicht zuletzt der Glaube bzw. die Religion behandelt er in den Texten Prados. Dabei lässt er Gregorius tief in das Leben des Portugiesen blicken, von der Schulzeit bis hin zu seinem Kampf im Widerstand.

Eigene Meinung
Ein Buch mit Interpretationsspielraum. Jedem seine eigene Geschichte, ein Charakter mit dem er sich identifizieren kann. Was sind wir und was macht das Leben aus uns? Wofür entscheiden wir uns und was sind die Folgen? Wie sehr verlieren wir uns in der eigenen Welt und wann beginnt dieser Prozess? Vielleicht ist dieses Buch auch nur der Versuch, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Menschen, die uns begegnen spiegeln uns und wir sie. Das zumindest ist eine der Aussagen. Wer mit kritischen Worten gegen den christlichen Glauben nicht gut zurechtkommt, wird mit diesem Buch an vielen Stellen Schwierigkeiten bekommen.
Ein bisschen musste ich bei diesem Konzept der Erzählung an Hectors Reise von Lelord denken, wobei man das Niveau der beiden Bücher nicht vergleichen kann. Lelord schreibt wesentlich trivialer und oberflächlicher, aber die Ideen ähneln sich.
Mir gefallen die Gedanken Merciers sehr gut. Nicht nur einmal habe ich Passagen mehrmals gelesen und noch jetzt bin ich nicht sicher, alles wirklich verstanden zu haben, vor allem nicht im Zusammenhang mit der Erzählung und im Hinblick auf den Protagonisten. Auch hat mich das Ende nicht überzeugen können. Vielleicht ist das aber auch gar nicht nötig.

Ein wundervolles Geschenk für Menschen, die gerne beim Lesen ein bisschen nachdenken. Ein Buch das sich mehr als einmal zu lesen lohnt.

“Wie machten die Worte das? War es nicht wie Magie? Doch in diesem Moment schien das Mysterium größer als sonst, denn es waren Worte, von denen er gestern morgen keine Ahnung gehabt hatte—

“Eine Religion, in deren Zentrum eine Hinrichtungsszene steht, finde ich abstoßend, sagt er einmal. Stell dir vor, es wäre ein Galgen gewesen, eine Guillotine oder eine Garrotte. Stell dir vor, wie unsere religiöse Symbolik dann aussähe—

“Habe ich je einem anderen wirklich zugehört? Ihn mit seinen Worten in mich hineingelassen, so dass mein innerer Strom umgeleitet worden wäre?—

“Sie ist eine verkannte Form von Dummheit, pflegte er zu sagen, man muss die kosmische Bedeutungslosigkeit unseres gesamten Tuns vergessen, um eitel sein zu können, und das ist eine krasse Form von Dummheit—

“Der Geist, er ist ein charmanter Schauplatz von Selbsttäuschungen, gewoben aus schönen, besänftigenden Worten, die uns eine irrtumsfreie Vertrautheit mit uns selbst vorgaukeln, eine Nähe des Erkennens, die uns davor feit, von uns selbst überrascht zu werden—

“Begierde, Wohlgefallen und Geborgenheit. Am flüchigsten sei die Begierde, hatte Prado gesagt, dann komme das Wohlgefallen, und am Ende zerbreche auch die Geborgenheit. Deshalb komme es auf Loyalität an, auf eine Parteinahme der Seele jenseits der Gefühle—

“Oft waren es die anderen, die beklagten, dass jemand nicht mehr er selbst sei. Vielleicht hieß es dann in Wirklichkeit: Er ist nicht mehr so, wie wir ihn gerne hätten?…“

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