In Plüschgewittern

Wolfgang Herrndorf

Dies ist die Geschichte eines Mannes um die dreißig, der auf dem Weg aus der westdeutschen Provinz in die Szenequartiere der Hauptstadt wenig tut, aber viel mitmacht. Der seine Umwelt beobachtet, sie mitleidslos kommentiert und im Übrigen an sich und der Welt leidet. So einer passt nach Berlin, denn Berlin heißt: Endloses Gerede, viel Durst, vager Durchblick, kein Plan. Keine Arbeit sowieso, dafür ab und zu Altbau-Partys, bei denen auch schon mal jemand vom Dach fällt. Doch dann widerfährt unserem Helden ein Missgeschick: Er verliebt sich.

Hier sollte eine Inhaltsangabe stehen, aber die ist vollkommen überflüssig, da die Kurzbeschreibung auf dem Buchdeckel die Geschichte so prägnant beschreibt, dass es eine weitere Ausführung nahezu überflüssig macht. Eigentlich irre, denn das Buch hat 183 Seiten.

cover in plueschgewitternWas also steht drin: Der Held wird von seiner Freundin Erika verlassen und sie trennen sich auf einem Autobahnparkplatz, während sie redet, hört er eher teilnahmslos zu. Daraufhin fährt er zuerst nach Hamburg zu seinem Bruder und dessen Frau, die er sowieso nicht leiden kann, weil sie seiner Meinung nach dumm ist. Dort besucht er seine Großmutter, die bereits schwerkrank ist. Doch so wirklich scheint ihn das auch nicht zu berühren, genauso wenig wie seine Erinnerungen an seine erste große Liebe Anja aus der Schulzeit. So verlässt er Hamburg Richtung Berlin, um bei seinem schwulen Freund Desmond unterzukommen. Eigentlich könnte er sich eine Wohnung suchen und einen Job, wäre da nicht Ines, die er durch Desmond kennenlernt. Sie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Denn Ines scheint die erste zu sein, die ihn versteht. Vielleicht ist sie auch der erste Mensch, der ihn überhaupt versteht, in einer Welt, die so absurd zu sein scheint, dass man an ihr verzweifelt und genau das passiert ihm auch. Endgültig.

Herrndorf schreibt nüchtern und sehr real. Obwohl eigentlich gar nichts zu passieren scheint, durchlebt sein Protagonist einen absoluten Absturz und als Leser stellt man sich an einigen Stellen die Frage: Was soll das Ganze eigentlich? Doch die teilweise belanglosen Schilderungen aus der Vergangenheit des tragischen Helden wirken nur im schnellen Vorbeilesen nebensächlich. Tatsächlich schafft es Herrndorf auf sehr abstrakte Weise all die Irrtümer des menschlichen Miteinanders in die Alltäglichkeit zu betten, dass es plötzlich wehtut. Denn im Grunde geht es nur um das eine: die unglückliche Liebe und den Sinn des Lebens ohne sie.

 

Eigene Meinung

Puh! Dieses Buch hat mich, wie man an den oberen Absätzen wohl gut erkennen kann, ziemlich ratlos zurück gelassen.

Da ist er also, der tragische Held Mitte dreißig, der in allen leuchtenden Farben seiner Vergangenheit schildert, wie bescheuert wir sind, wenn wir uns in jemanden verlieben, weil wir meinen, etwas in einem anderen Menschen zu sehen, nur um nach einiger Zeit enttäuscht feststellen zu müssen, das da überhaupt nichts ist, außer vielleicht unseren Illusionen und wir uns eingestehen müssen, dass es und im Endeffekt vollkommen egal ist. Noch schlimmer die Erkenntnis, dass man aus so einer Erfahrung nichts lernt und die Ereignisse sich wiederholen. Mit anderen Menschen, an anderen Orten, aber in ähnlichen Situationen. Irgendwann verliert man sich in den Verwirrungen seiner Gefühle und dummerweise auch in der Welt. Vielleicht auch in den zwischenmenschlichen Missverständnissen, weil wir für andere etwas zu sein scheinen, was wir nicht sind. Vielleicht sogar schwul. Wie enttäuschend für beide Seiten, wenn nicht. Übrig bleiben ein Haufen Fragen und jede Menge Schmerz. Wahrscheinlich endet das Buch auch gerade deswegen fast dort, wo es angefangen hat, zudem noch sehr tragisch.

Was Wolfgang Herrndorf hier macht, ist schon eine Kunst für sich. Denn er erzählt die Geschichte so, dass man als Leser das Gefühl hat, in einer Kneipe mit flüchtigen, aber betrunkenen Bekannten zu sitzen und deren Lebensgeschichten zu lauschen. Erschreckenderweise findet man sich selbst in diesen Geschichten wieder, bemerkt, dass man diese Erzählungen so oder zumindest vergleichbar bereits von jemandem, den man kennt, gehört hat. Dann macht sich dieses beklemmende Gefühl breit, dass man selbst derjenige ist, der entweder nicht verstanden wird oder nicht verstehen kann. Zurück bleibt die Frage, ob das überhaupt wichtig ist. Denn am Ende bleibt nichts mehr und das ist irgendwie gut.

Fazit: Lesenswert, aber mit Vorsicht zu genießen. Es ist für mich sogar sehr gut verständlich, dass einige Leser über dieses Buch Urteile wie „So ein Scheiß!“ fällen. Auf diese Erzählung sollte man sich einlassen können und eine ordentliche Portion Selbstironie und Humor gehören schon dazu.

Randbemerkung: Ich habe In Plüschgewittern nach Sand und Tschick gelesen. Nun scheint es für Herrndorf bezeichnend zu sein, dass er sehr gerne und ausgiebig über das Leiden, also wirklich eine Art von Weltschmerz zu schreiben gemocht hat. Denn alle drei Stücke weisen Parallelen auf. Vor allem aber das Sichverlieren und Nichtverstandenwerden. In diesem Debütroman verliert der Protagonist die Liebe, in Sand seine Identität und in Tschick mehr oder weniger seine Unschuld.

 a populars authors first book

Erfreulich die Tatsache, dass ich mit diesem Buch ein Häkchen in der Reading Challenge 2015 setzen darf. Eigentlich könnte ich gleich zwei setzen, aber noch bin ich optimistisch. Ich habe mich für „A popular author’s first book“ – gut, jetzt kann man darüber diskutieren wie populär Herrndorf ist oder muss ich schon fast war sagen. R.I.P Wolfgang!

„Deshalb ist man dann dauernd enttäuscht, und Humorlosigkeit, Völkermord und Designerstühle sind die Folge.“

 

„Wenn es schon mal peinlich ist, kann ich immer gar nicht aufhören.“

 

„Ich hatte diese Vorurteile über die Gleichheit der Menschen einfach so in mich aufgenommen. Ich verachtete alles Oberflächliche. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich ein Interesse entwickelt hatte für eine Person, von der ich bestenfalls wusste, wie sie aussah.“

 

„Wenn man unbedingt geisteskrank sein will, muss es immer dieser Blödsinn sein? Ich meine, ich weiß natürlich auch, dass man sich das nicht aussuchen kann, ob man jetzt Paranoia kriegt oder Tourette-Syndrom oder irgendwas Anständiges. Aber Magersucht.“

 

„Keine Ahnung, wie sie da hingekommen ist. Eben stand sie noch neben mir und hatte die Hand an meinem Kragen, und jetzt ist sie dreißig Meter weiter weg. Ein typischer Fernost-Trick.“

 

„Ich habe die Hand ausgestreckt, und die Wolken sind an meinem Arm entlang gezogen, von Westen nach Osten, stundenlang, so wie es mir gefiel, so wie ich es angeordnet hatte, ich, Herrscher der bekannten Welt.“

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