Über Menschen

Juli Zeh

„Vernichten und retten. Kooperieren und kämpfen. Zerstörung und Fürsorge. Es sind alles Aspekte derselben Beziehung, und das, denkt Dora, könnte man schon fast ein Zuhause nennen.“


Dora macht irgendwas mit Medien, wohnt mit Freund und Hund in Berlin, ist Ende 30 und kinderlos. Eigentlich ist alles okay. Doch dann verändert sich ihr Lebensgefährte, der ebenfalls irgendwas mit Journalismus und Online-Magazin zum Beruf hat. Als die Pandemie und der Lockdown kommen, wird aus dem Klimaretter ein Corona-Fanatiker. Dies bringt Dora dazu, all ihr Erspartes zu nehmen. Sie kauft ein altes Haus auf dem Land, mit Garten, in Bracken, also im Nirgendwo nahe der Hauptstadt. Dort hockt sie mit ihrem Hund, natürlich mit einwandfreiem WLAN, und nebendran, hinter der Mauer, da wohnt Gote, der Dorfnazi.

In drei Teilen erzählt Juli Zeh die Geschichte einer Frau, die durch Corona und den Umzug aufs Land ein Stück zu sich selbst findet. Festgefahrene Überzeugungen, neue Bekanntschaften und der Kontakt zum Vater, den sie nur beim Vornamen – Jojo – nennt, verändern sich, als Dora sich mit Gote anfreundet. Der eben nicht nur Nazi ist, sondern Vater, Nachbar, Freund und Schreiner. So richtig kommt Doras Welt ins Schwanken, als Gote ein Schicksalsschlag ereilt. Was zählt? Was können und was wollen, was müssen wir tun?



Zeh schreibt schnell, mit einem angenehmen Humor und handwerklich hervorragend. Die Figuren wirken klar und echt, da sie viele Klischees der heutigen Zeit wunderbar bedienen. Die unabhängige hippe, unabhängige Medien-Frau aus Berlin, voll im Berufsleben mit Hund – der Jochen heißt, obwohl es ein Weibchen ist – trifft auf den grobschlächtigen Typen, der handwerklich begabt, geschieden mit Kind und von der Hand in den Mund lebt. Natürlich Nazi, natürlich nicht öko, natürlich in vielerlei Beziehung überhaupt nicht korrekt. Hier sollen zwei Welten aufeinanderprallen.
Das tun sie nur bedingt. Selbst dann nicht, als Dora wegen Corona ihren hippen Job verliert. Denn Papa ist reicher Chirurg. Und dann ist da noch der Bruder, der eine Businessfrau geheiratet hat und die verzogenen Kinder betreut. Und die neue Freundin vom Vater, die er seit vielen Jahren hat, wird jetzt die neue Frau von Jojo. Dabei ist die Mutter gerade erst gestorben, da war Dora noch selbst eine Jugendliche und und und ist alles irgendwie nicht real. Denn Dora denkt und zerdenkt alles.

Eine richtige Botschaft bringt die Erzählung nicht mit sich. Das muss sie nicht, aber als Leser fragt man sich, was das ganze eigentlich soll.

Fazit: Unterhaltsam, ja. Lesenswert? Schwer zu sagen. Gegenwartsliteratur auf jeden Fall.


Eigene Meinung

Dieses Buch habe ich aus zwei Gründen gelesen: Zum einen wollte ich wieder aus meiner Fantasy-Bubble raus, zum anderen wollte ich wissen, was diese Autorin ausmacht. Enttäuscht wurde ich nicht, eher überrascht.

Juli Zeh schreibt wirklich hervorragend, auf angenehmem Niveau und mit gutem Spannungsbogen, so dass ich die ganze Zeit gewillt war, weiterzulesen. Doch je weiter ich im Buch vorankam, umso mehr nervten mich viele Dinge. Ich verstand die Intention der Protagonistin nicht mehr und fragte mich an vielen Stellen „Was soll das jetzt bitte?“. Seien es die großen Hände von Dora, das Unwissen von Franzi, was Rochen sind oder die Blubberbläschen bzw. das zwanghafte Verhalten von Dora, wenn sie Pfandflaschen in den normalen Hausmüll warf oder ihren Vater lediglich beim Vornamen nannte.

In vielen Buchvorstellungen und Rezensionen wird darauf verwiesen, dass die Autorin einen zum Nachdenken bringen will. Für mich stellte sich die Frage, worüber? Hier bin ich achselzuckend zurückgeblieben. Vielleicht nicht die Zielgruppe.

Ein Happy End hat das Buch nicht. Damit habe ich keinen Schmerz, hier bin ich voll die Zielgruppe. Dennoch wäre eine Quintessenz fein gewesen. Selbstverständlich kann ich mir die als gewillter Leser denken. Zeh lässt aber so viel Spielraum für Interpretationen, dass es absurd erscheint. Seien es die Schwulen, die AfD wählen oder der Dorfnazi, der so naturverbunden ist, dass es schon wehtut, einige Passagen des Romans zu lesen. Der Alltagsrassist, der mit der Pfarrerin verbandelt ist oder eben der hippe Chirurg, der den faulen Sohn als Stammhalter der arbeitenden Tochter vorzuziehen scheint.

Fazit: Ich habe keine Ahnung, was ich von diesem Buch und der Autorin halten soll. Ist mir schon lange nicht mehr passiert. Interessante Erfahrung.


„…Große Flocken schwebten vom Himmel und sahen aus wie etwas Künstliches, ein Special Effect der Natur.“

„Alltagsrassisten überrumpeln einen aus dem Nichts.“

„Vielleicht würde sie dann endlich begreifen, dass sie wirklich existiert.“

„Fest steht, dass alle Angst haben und dabei meinen, dass nur die eigene Angst die richtige sei.“

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